Wieso sind Reutlinger in den Bergen und was hat sie veranlasst, einen eigenen Verein zu gründen? Das Wandern auf der nahegelegenen Schwäbischen Alb reichte wohl nicht mehr aus, die bergbegeisterten Städter strebten nach höheren Zielen. Zu den Bergen der Alpen zog es sie magisch hin. Mit ein Grund war vermutlich die Gründung des Deutschen Alpenvereins. Natürlich waren auch die Reutlinger Bergsteiger zu dieser Zeit schon organisiert, sie waren Mitglieder bei verschiedenen schwäbischen Sektionen, so zum Beispiel bei „Schwaben“, „Schwarzer Grat“ und vor allem und mehrheitlich bei der Sektion „Tübingen“.
Wie viele Reutlinger Bergsteiger zu dieser Zeit in Tübingen Mitglied waren, kann im Detail nicht mehr ermittelt werden. Jedoch über die Frage und Diskussion zum Bau einer sektionseigenen Hütte, und insbesondere welcher Standort dafür in Frage käme, sorgten bei den Bergsteigern für Meinungsverschiedenheiten. Die Reutlinger waren überzeugt, auf dem mächtigen Kapelljoch, oberhalb von Schruns, den richtigen Hüttenplatz gefunden zu haben, dort wo heute die Wormser Hütte steht. Die Tübinger hatten einen Hüttenplatz am Garnerajoch in der Silvretta ausgesucht. Weil wohl keine Seite von ihrer Position abgewichen ist, kam es, dass die Reutlinger Bergsteiger im November 1905 entschieden, eine eigene Sektion zu gründen, die sich dann am 19.12.1905 konstituierte. Bei der Gründungsversammlung zählte die Sektion 83 Mitglieder. Bereits ein Jahr nach der Sektionsgründung tauchte die Frage nach einer eigenen Hütte im Gebirge auf. Schon 1907 wurde das nordwestliche Verwall der Sektion als Arbeitsgebiet zugewiesen, und bereits vier Jahre nach der Sektionsgründung, am 3. August 1909, wurde auf der Wildebene die Reutlinger Hütte feierlich eingeweiht.
Die Skialpinisten und Bergsteiger der Sektion waren schon immer und sind auch heute noch, europaweit, ja sogar weltweit in den Bergen unterwegs. Bereits 1912 stand der Reutlinger Dr. Rudolf Wandel auf dem 5600 Meter hohen Elbrus im Kaukasus, und in der jüngsten Vergangenheit wurden Extrembergtouren von Reutlinger Sektionsmitglieder im Kaukasus, in Peru oder in Chile durchgeführt. Aber auch im europäischen Alpenraum, am Eiger oder in den Wänden der Montblanc- Gruppe hinterließen Reutlinger Bergsteiger ihre Spuren.
Durch den Anschluss des „Schneelauf-Vereins Reutlingen“ 1926 erhielt die Sektion großen Auftrieb, die Skiabteilung wurde gegründet, und der Bau einer „Schneeschuhhütte“ oberhalb der Albona Alpe im Klostertal wurde beschlossen. Sie wurde im April 1929 eingeweiht und erhielt den Namen Kaltenberghütte. Heute ist die Kaltenberghütte die einzige bewirtschaftete Berghütte der Sektion und damit ein wichtiger Teil der „Verwall-Runde“. Die im Jahr 1953 abgebrannte Reutlinger Hütte konnte am selben Platz 1970 als „Neue Reutlinger Hütte“ im Selbstversorgerbetrieb wieder in Betrieb gehen.
Die Sektion hat sich in den vergangenen einhundert Jahren, was ihre Mitglieder anbelangt, stark verändert. Vom einstigen elitären Verein der so genannten „Besseren Gesellschaft“ hat sich die Sektion für alle Menschen geöffnet, die ihre Leidenschaft zu den Bergen entdeckt haben. Damit müssen wir uns als Verein auseinandersetzen. Die Erwartungshaltung der Mitglieder an ihren Verein ist eine andere geworden und prägt damit zu einem nicht geringen Teil die Sektionsarbeit.
Wo und wann kann man denn in einer Reutlinger Kletterhalle klettern? Gestellt wurde diese Frage bereits 2002 und vor allen Dingen von unseren jungen Sektionsmitgliedern. Inzwischen kann die Frage von damals beantwortet werden, denn nach einer Bauzeit von zehn Monaten konnten die Kletterer 2010 das DAV-Kletterzentrum feierlich in Betrieb nehmen. Mit dem Betrieb der Kletteranlage stieg die Mitgliederzahl der Sektion sprunghaft an, so dass die Sektion auf mehr als 10.000 Mitgliedern angewachsen ist und damit zum größten Verein Reutlingens wurde. Mit dem Kletterzentrum ist ein massiver Wandel in unserer Sektion eingetreten. Zum ersten Mal gibt es einen Stützpunkt für Vereinsmitglieder am Ort und nicht nur mit der Kaltenberghütte in den Bergen. Das Kletterzentrum mit seinen 1500 m² Kletterfläche ist zum Treffpunkt für junge Menschen, für Familien und für Senioren geworden. Für den Wettkampfsport ist sie eines von vier regionalen Kletterzentren des Landes. Dort werden nicht nur Kletterwettkämpfe ausgetragen, der Breitensport ist ein wichtiger Bestandteil des Klettersports. Bereits vier Jahre nach der Inbetriebnahme haben wir mit einem Erweiterungsbau die vorhandene Kletterfläche um 700 m² Kletterfläche erweitert, um dem großen Ansturm der Nutzer gerecht zu werden und deren Sicherheit zu gewährleisten. Mit dem Einbau eines Sportbodens wurde der Unfallgefahr vorgebeugt.
Doch nicht nur am Standort Reutlingen, sondern auch in den Bergen, an unserem Sektionshütte Kaltenberghütte, wurden zu den laufenden Unterhaltungsmaßnahmen bauliche Verbesserungen geplant und in mehreren Bauabschnitten umgesetzt. Begonnen wurde 2015 mit der Erneuerung der Energieversorgung und der Abwasserreinigungsanlage. In den Jahren 2017 und 2018 ist die Bergstation der Materialseilbahn grundlegend erneuert worden. Der alte Winterraum wurde abgerissen und durch einen zeitgemäßen Neubau ersetzt. Die Materialseilbahn ist jetzt für den eingeschränkten Werkverkehr zugelassen, so dass auch Hüttenpersonal befördert werden kann. Im Frühjahr 2019 wird der Wirtschaftsraum in der Hütte, die Sanitäranlagen erneuert und Personalzimmer eingerichtet.
Das klingt nach viel Technik, aber nur so können wir eine naturnahe Entwicklung des Bergsports fördern.