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Klettern am seidenen Faden

Das Felsklettern auf der Schwäbischen Alb blickt als Teil des Bergsports und des Alpinismus auf eine lange Tradition zurück. Vor weit über 100 Jahren zunächst als Training für größere Unternehmungen in den Alpen und an den Bergen dieser Welt betrieben, wurde es ab den 1970er Jahren mehr und mehr zum Selbstzweck. Die meiste Zeit wurde das Klettern auf der Schwäbischen Alb als ein selbstverständlicher Teil des Bergsports und des Sich-Bewegens in der Natur betrachtet. Damit ist es Teil des sozialen und kulturellen Lebens in Baden-Württemberg.

Damals selbstverständlich - heute ganz und gar unvorstellbar: Im Winter, wenn die kahlen Bäume die Sicht auf die im Wald des Albrands versteckten Felsen freigibt, auf Neulandsuche gehen! Das bald verlorene Paradies...

Ab November 1989 begann eine regelrechte Hetzkampagne gegen den Klettersport und damit auch gegen die Kletterer: Zeitungsartikel mit markigen Titeln und Schlagwörtern wie etwa „Wildwest auf derAlb“, „Ohne Rücksicht“ oder „Totgenagelte Natur“ und schlicht mit Unwahrheiten und Verleumdungen machten Stimmung gegen das Klettern.

Die (teilweise selbsternannten) Naturschützer versuchten, ohne mit den organisierten (z.B. DAV, Naturfreunde) oder verbandlich unorganisierten Kletterern in Austausch zu gehen oder sie in irgendeiner Form miteinzubeziehen, Felssperrungen über die Naturschutzbehörden zu erwirken. Was ihnen gelang.

Es begann eine Auseinandersetzung zwischen Kletterer- und Naturschützerseite, der es von Seiten letzterer über Jahre an Sachlichkeit und Konstruktivem fehlte. Dies, obwohl es bereits in den Jahren zuvor einen sinnvollen Austausch und Abmachungen zwischen den Parteien gegeben hatte, was den Verzicht auf bestimmte Felsen und Felsbereiche bei begründetem Anlass betrifft.

Wie zuvor die Kletterer in Franken, schlossen sich 1990 die schwäbischen Sportkletterer zu einer Interessengemeinschaft zusammen: Zur IG Klettern Schwäbische Alb.

Zusammen mit den Bergsportverbänden DAV, Bergwacht und Naturfreunde war es ihre oberste Priorität, dass das Klettern an den Felsen nicht der Neufassung des Landesnaturschutzgesetzes komplett zum Opfer fiel und dass ein kletterfreies Baden-Württemberg unbedingt verhindert werden musste!

Am 3.Januar 1992 war es allerdings soweit: Das Klettern in Baden-Württemberg an „offenen Felsbildungen“ wurde seitens des Umweltministeriums grundsätzlich verboten. Dies erscheint im Vergleich mit der gängigen bundesweiten Gesetzgebung wie aus einer verkehrten Welt: Nicht bestimmte, einzelne oder konkrete Verbote, wie sie beispielsweise durch Bestimmungen für Naturschutzgebiete zustande kommen, regeln das Klettern. Seit diesem Tag dürfen bis heute nur noch diejenigen Felsbiotope betreten und beklettert werden, für die seitens der zuständigen Naturschutzbehörde eine Ausnahmeregelung existiert. Im Ermstal und auf der Reutlinger Alb wurde in einer Allgemeinverfügung festgelegt, welche Felsen unter welchen Bedingungen noch zum Klettern freigegeben sind. Diese Allgemeinverfügung bestimmt seit Jahrzehnten das wenige Erlaubte des dortigen Kletterns. Nur durch „Dranbleiben“ der Kletterer wurde wenigstens - und höchstens - noch das gerettet.

Dies beschreibt nur im Ansatz, mit was sich die Bergsportverbände nicht nur in Baden-Württemberg seit 1990 abmühen müssen bei ihrem Engagement, dass die Kletterer nicht vollends aus der Natur ausgesperrt werden. Es ist kaum vorstellbar, welche unschönen Blüten diese Auseinandersetzung vor allem in den ersten Jahren auf Seite der Naturschützer getrieben hatte: Von fehlendem Austausch über haarsträubende, hanebüchene Darstellungen und Verleumdungen bis hin zu kriminellen Vorgehensweisen gegen Kletterer war einiges Unerwartetes zu erleben.

In allen Regionen Baden-Württembergs ist nur noch ein verschwindend geringer Teil aller vorhandenen Felsen zum Klettern freigegeben. Die Bergsportverbände fechten seit Beginn der 1990er Jahre einen äußerst wichtigen, allerdings schwierigen und zermürbenden Kampf aus, ohne den es das Felsklettern in Baden-Württemberg ziemlich sicher nicht mehr geben würde. Gespräche, Verhandlungen, Anhörungen, Begehungen und viele weitere Maßnahmen hielten die Talfahrt langsam auf. Das seither labile Gleichgewicht muss so gut es geht gehalten werden.

Es ist selbstverständlich, dass jeder Kletterer weitergibt, wie man sich beim Klettern im Lebensraum vieler anderer Lebewesen passend verhält! Klettern wird allerdings schon immer in der Mehrheit von nicht in Verbänden und Vereinen Organisierten betrieben. Das dabei von den Behörden geforderte Maß an Verantwortung für alle zu übernehmen, ist seitens der organisierten Kletterer kaum leistbar: Sie müssen immer wieder dafür geradestehen, dass jeder einzelne Kletterer alles richtig und keinen Schritt zu weit macht, über Naturschutzregeln und Felsregelungen informiert ist und alles beachtet. Gefühlt in eine Bittstellerrolle gedrängt, in der ein „Frondienst“ unter permanenter, strengster Beobachtung geleistet werden muss, kann den Verantwortlichen durchaus auch einmal der Atem ausgehen.

Es braucht allerdings nicht nur diejenigen, die darum ringen, keinen Boden zu verlieren, es braucht auch Leute, die tatkräftig ehrenamtlich in Erscheinung treten: Als Mitglieder der Arbeitskreise Klettern und Naturschutz, als Felspaten, als Wegebauer und -pfleger und als Informierter über einen passenden Umgang als Kletterer mit der hierzulande sehr begrenzten Ressource Fels. Alles ist nicht so attraktiv wie das Klettern. Aber ohne diese Anstrengungen gibt es dieses halt nun mal auch nicht mehr.

Wer damals die Geschehnisse miterlebt hat, die zu den flächendeckenden Einschränkungen geführt haben, kann nicht ohne Emotionen zurückblicken. Neben Wehmut ob der Erinnerungen an eine unschuldigere Zeit geht ein Rückblick leider nicht ohne Wut und Frustration.

Eine wirkliche Stabilisierung der ganzen Situation oder gar eine Lockerung ist nicht in Sicht - im Gegenteil:

In fast allen Ländern dieser Erde ist es üblich, Kletterrouten in Nachbarschaft zu brütenden Vögeln für die Dauer des Brutgeschäftes zu meiden. Kletterer informieren dabei andere Kletterer. In Baden-Württemberg dagegen wird ein kompletter Fels ganzjährig gesperrt, wenn beispielsweise ein Uhu nistet. Diese Vogelart verbreitet sich jedoch immer mehr und bedroht z.B. andere geschützte Vögel.

Das aktuell Erschreckendste geschieht zurzeit im Schwarzwald: Zum 1.1.2023 wurde die Badener Wand im Klettergebiet Battert komplett gesperrt. Die Vorgehensweise der Behörden erinnert, nachdem wir Kletterer die damaligen Gespenster schon fast vergessen konnten, an die dunklen Zeiten Ende der 80er und 90er. Die Kletterer hatten auch hier keine Chance. Wenn alles schiefgeht, öffnet dieses Vorgehen weiteren Sperrungen in Baden-Württemberg Tür und Tor.

Es gilt: Dran bleiben! Der Grat zwischen „ja nix falsch machen“ und „uns nichts gefallen lassen“ wird offensichtlich noch schmaler. Hoffen wir, dass der seidene Faden eines Tages statt dünner wieder dicker wird!

Text: Matt Hafner

Pflichtlektüre für alle Kletterer:

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